Zu den bisher in Brasilien zurückgelegten rund 1.500 km kommen weitere 600 km in 8 Stunden für die Fahrt von Sao Paulo nach Rio de Janeiro hinzu. Eine andere Großstadt an der südlichen Küste des riesigen Landes, und wie es sich herausstellen wird, eine nächste tolle Erfahrung.
Ich werde in den nächsten 30.000 Wörtern ausführen, in welchen Museen ich meine Zeit verbracht habe, werde intensiv über die dort präsentierte Kunst schreiben, die Lebensgeschichten der Meister und Künstler beleuchten und einige Artefakte ausführlich diskutieren..
So ein Unsinn, ich war in Rio de Janeiro, um den Karneval zu erleben. Und genau hierüber werde ich berichten.
Für mich als Fastnachterprobten Mainzer war es seit jeher ein Lebenstraum, das berühmte Fest der Feste zu sehen, den Rhythmus zu fühlen und die Stimmungen in mich aufzunehmen – und gleich vorausgeschickt, es war Einzigartig!
Alleine schon die Anreise durch das Hochplateau mit atemberaubender Fernsicht versetzt mich in Staunen. Gigantische Bergmassen im Hintergrund, kleinere Berge davor, alles in ein üppiges Grün getaucht und veredelt durch ein Licht- und Schattenspiel, dass entweder die Konturen der Grate schärft oder mystisch verschwinden lässt. Ein tolles Spektakel.
Meine Unterkunft beziehe ich in dem Stadtteil Laranjeiras in einem für die Stadt typischen Hochhaus, dass sich an einen der zahlreichen und sehr steilen Hügel zu klammern scheint. In unmittelbarer Nähe habe ich alles, was das Herz begehrt. Restaurants, Bars, Supermärkte, Banken und, am Wichtigsten, die Basisstation der Zahnradbahn hinauf zum Cristo Redentor.
Die weltbekannte Christus-Figur ist dann auch sogleich mein erstes Ziel und mit mir als Gast kämpft sich die veraltet wirkende Bahn in Richtung Gipfel. Noch ein paar Stufen geht es der Spitze entgegen – und unter mir breitet sich ein traumhaft schönes Bild einer riesigen Stadt entlang einer sehr geschwungenen Küste aus. Zahllose Hochhäuser recken sich gen Himmel, dazwischen sehe ich den sich mächtig erhebenden Zuckerhut, den Botanischen Garten, den riesigen Friedhof Sao Joao Batista, das Stadion Maracana, Olympiastätten und die weltbekannten Strände der Stadt. Von hier oben gewinne ich einen einzigartigen Überblick über den Ort, den ich in den nächsten Tagen mein zu Hause nennen werde.
Genug des Sightseeing. Ich bereite mich auf meinen ersten bloco (Umzug) vor und verkleide mich ein wenig. Nur wenige Metern entfernt von der Wohnung versammeln sich die Menschen in freudiger Stimmung und diese geht gleich auf mich über. Überall sehe ich teilweise sehr lustig verkleidete Menschen, Gruppen von Jugendlichen, die mit Alkohol in der Hand durch die Gassen und Straßen ziehen, Mütter und Väter, die die Verkleidung ihrer Kinder vor dem Start nochmal auf perfekten Sitz prüfen…
Mit meiner Gastgeberin Daniele zusammen stärken wir uns wie die Anderen mit Süßspeisen und Kokosnusssaft. Und dann geht der Umzug los: eine „Combo“, aus mindestens 30 Menschen bestehend, ausgerüstet mit unterschiedlichsten Trommeln, Rasseln, Trompeten und weiteren Instrumenten, stimmt sofort einen wilden Wechselgesang an und abwechselnd mit dem Vorsänger oder zusammen mit ihm wird der Menge mächtig eingeheizt. Nur langsam setzt sich der Tross in Bewegung. Es wird getanzt, lauthals mitgesungen, gelacht, gejubelt, gegrinst. Manchmal sehe ich Leute, die vor lauter Genuss die Augen verschließen – das mache ich auch, spüre den Rhythmus des dann gespielten Samba in meinem Blut pulsieren, die Melodie dringt in meine Ohren und tief in meine Erinnerung ein, ich bekomme Gänsehaut am ganzen Körper. Und wie von selbst setzen sich meine Füße in Bewegung, der „Blues des Samba“ übermannt mich völlig und ich gerate fast in Ekstase.
Bei der strahlenden Sonne und fast 30 Grad im Schatten versteht es sich fast von selbst, dass alle Welt sich mit kalten Getränken immer wieder erfrischt. Wasser ist leider fast unauffindbar und so lasse ich mich „notgedrungenermaßen“ auf den angebotenen Deal der sich durch die Massen windenden Verkäufer „3 für 10“ ein. 3 kleine Dosen Bier für 10 R$. Ein sehr faires Tauschgeschäft, bekommt man doch erstaunlicherweise zu jeder Tageszeit eiskalte Getränke. Nun, mit der dafür notwendigen Logistik beschäftige ich mich nicht sondern mit den zahlreichen Leuten, die aufgrund meines Aussehens wissen, dass ich ein „Gringo“ bin und sich mit mir unterhalten oder fotografieren lassen wollen. Eine ausgelassene Stimmung verbreitet sich und mit der sich neigenden Sonne spenden die immer größer werdenden Schatten die ersehnte Abkühlung. Nach einigen Stunden endet dann die Musik, die Combo hat sich verausgabt. Das Fest geht aber bis spät in die Nacht weiter und ich ziehe mit den im Laufe des Tages kennengelernten Karnevalisten um die Häuser. Erschöpft aber überglücklich kehre ich schließlich zurück. Und das war nur der erste Tag.
In den folgenden Tagen versuche ich, mich an mein erdachtes Programm als eine Mischung aus Stadtbesichtigung und Bloco zu halten – es gelingt mir nicht. Zu groß ist die Verlockung, mich von diesem sensationellen Gefühl des ersten Tages wieder einzufangen zu lassen. Es mag aber auch daran liegen, dass ich die Zeit gerne mit den Personen verbringe, die ich kennen gelernt habe und die mich mit ihrer Gastfreundlichkeit, mit ihrem Humor und auch mit ihrem Charme komplett begeistern. Und die mich zu den Umzügen mitnehmen, die weniger touristisch geprägt sind sondern dem wahren Lebensgefühl der Stadtbewohner entsprechen.
Nichtsdestotrotz schaffe ich es, mir die bekanntesten Stadtteile Flamengo, Botafogo und selbstverständlich die Strände Ipanema und Copacabana ausführlich anzusehen. Letztgenannte Orte sind ein magischer Anziehungsort. Für eine Weile nehme ich das Treiben um mich herum nicht wahr, sondern lasse die eindrucksvolle Kulisse, die ich bisher nur von Bildern kenne, direkt auf mich wirken. Es ist mir aber nur schwer möglich, diesen Blick isoliert, ohne das wilde Treiben um mich herum zu genießen. Wahrscheinlich gehört es sich aber auch genau so. Die Straßen sind für den Verkehr gesperrt, damit 100.000de sich ausgelassen der Sause hingeben können. Vereinzelte Sambaschulen, oder Splitter davon, ziehen durch die Massen und scharen sofort einige 100 oder 1000 Begeisterte um sich – ein alternativer Bloco findet seinen Anfang und einen Mittanzeden in mir.
Die Tage vergehen und mein letzter Bloco, wieder im Stadtteil Laranjeiras, steht bevor. Dieser Umzug führt von der Talsohle über eine Serpentinenartige Straße zum Gipfel eines Berges. Eine besondere Anstrengung für Combo, meine Begleiter und mich. Die Anwohner haben ein Einsehen und begießen die unter ihren Fenster Vorbeiziehenden immer wieder mit Wasser, gehen dabei sogar waghalsige Manöver ein, aber alles verläuft Bestens. Als der Tross dann um eine Kurve auf ein zur Hanglage unbebautes Teilstück biegt, verschlägt es mir den Atem – auf dem nächsten Berg schaut mir Cristo Redentor beim Feiern zu und meine Knie werden weich. Samba, Sonne, Karneval in Rio de Janeiro, Karneval im Schatten des Cristo. Glück und Gänsehaut pur!!!
Wie kann ich nach so einem denkwürdigen Erlebnis den bevorstehenden, passenden Abschluss des Besuches dieser Stadt finden? Ich gehe zum Pão de Açúcar und sage in voller Dankbarkeit „Auf Wiedersehen“..
Euer Thilo
(siehe auch: Stationen und Distanzen)
Les photos sont dingues et tu as l’air heureux cela fait plaisir! ENJOY!
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