Von Loja (siehe In den Süden Ecuadors für einen großen Schluck Ewiger Jugend..) geht es im Bus für mich zunächst zurück nach Cuenca. Nach einem halbtätigen Aufenthalt dort besteige ich aber gleich das nächste Gefährt, dass mich in die 125.000 Einwohner zählende und auf 2.750 Meter ü.N.N. liegende Stadt Riobamba bringt. Die im Zentrum des Landes liegende Stadt ist für ihre, sie umgebenden Vulkane bekannt.
Zuerst verschaffe ich mir einen Überblick über Riobamba, das insbesondere am Sonntag einen sehr verschlafenen Eindruck macht. Von dem Glanz der Hochzeiten der einst sehr reichen Stadt ist heute nichts mehr zu sehen. Ein verheerendes Erdbeben hat das koloniale Riobamba zerstört und unter einer dicken Erdschicht begraben. Heute ist die Hauptattraktion die Ein- oder Ausfahrt des Touristen-Zuges, der seine Passagiere zu dem Wasserfall Pailón del Diablo, dem Teufelskessel, in der Nähe der Gemeinde Baños bringt.
Hauptsehenswürdigkeit sind aber die Berge. Von der Dachterrasse meines Hotels betrachte ich die in einiger Entfernung liegenden, aber die Stadt dennoch bedrohlich überragenden Vulkankuppeln. Allen voran der Chimborazo mit einer Höhe von 6.310 Meter, der Carihauirazo mit 5.020 Meter und El Altar, welcher sich 5.319 Meter in den Himmel reckt. Und der Himmel zeigt mir in den Dämmerungsstunden mit seiner dramatischen Farbgebung ein Bild, wie es nach einer Eruption über der Stadt aussehen könnte. Eine unheimliche, aber unheimlich schöne Inszenierung.
Bevor ich mich aber ausführlicher den Steingiganten zuwende, unternehme ich einen Tagesausflug in den kleinen Ort Baños. Die eineinhalbstündige Busfahrt durch grüne Täler und wasserführende Schluchten, vorbei an agrarwirtschaftlich genutzten Berghängen, mit Sicht auf den 5.016 Meter hohen und sehr aktiven Vulkan Tungurahua, ist ganz nach meinem Geschmack.
In dem, in einem kleinen und engen Tal liegenden Baños angekommen, brauche ich nicht lange, um die wenigen und von vielen Touristen bevölkerten Straßen und Bauwerke in Augenschein zu nehmen. Von teuflischen Machenschaften ist hier nichts zu sehen. Alles wirkt sehr aufgeräumt, sauber und Spuren des letzten Vulkanausbruchs sind nicht zu entdecken. Ich verlasse diese scheinbare Idylle und weiter geht die Fahrt mit einem Kurzstreckenbus durch das schmale Tal und verschiedene Tunnel.
Nach circa 20 km hält der Bus für mich an einer kleinen Häuseransammlung. Alles wirkt ausgestorben, kein Mensch ist zu sehen. Die Imbiss- und Souvenirstände sind alle geschlossen. Ich hoffe, dass es nicht mit dem Teufel zugeht und der Naturpark nicht ebenfalls seine Pforten dichtgemacht hat. Ich habe Glück und kann meinen Weg zu dem Wasserfall, der sich in einem Tal versteckt, fortsetzen. Und es lohnt sich. Schon auf der Strecke, die für mich ein wenig dem Inka-Pfad in Peru ähnelt (siehe Machu Picchu – im Himmelreich der Inkas..), gibt es kleinere Wasserstürze zu bewundern, die für das üppige Grün des verwunschen wirkenden Waldes sorgen. Das tosende Donnern der Wassermassen ist schon aus einiger Entfernung zu vernehmen und verheißt Diabolisches. Jedenfalls ist es sehr beeindruckend. Der Wasserfall stürzt sich über etliche Meter in die Tiefe und landet krachend in einem Becken, dass, aufgrund der in die Höhe steigenden Gicht, nur schemenhaft ausgemacht werden kann. Um zu den verschiedenen Aussichtsplattformen zu gelangen, hat Luzifer kleinste, beklemmende Gänge durch die Steinmassen angelegt, durch die man teilweise nur kriechend oder in kleinstem Gänsemarsch passieren kann. Die Treppen sind mehr als glitschig und ich komme nur langsam vorwärts. Aufgrund des großen Wasservolumens in dieser Jahreszeit ist es mir leider nicht vergönnt, in die Höhle hinter den Wasserfall zu treten. Der Beelzebub will wohl keinen Besuch in seiner Wohnung. Die Hängebrücke ist dafür frei zugänglich und von dort lasse ich das Naturspektakel noch eine Weile auf mich wirken.
Genug der Teufelei. Nach dem Teufelsschlund in Brasilien (siehe Auf Wiedersehen Brasilien und der Blick in den Teufelsschlund..), und jetzt dem Teufelskessel, beschließe ich, dem Himmel ganz nahe zu kommen.
Für dieses Vorhaben nehme ich, wieder von Riobamba, den Bus in Richtung des Chimborazo. Dieser hat eine Besonderheit: sein Gipfel ist der höchste Punkt der Erde. Oder: aufgrund der Erdkrümmung ist kein anderer Ort dieser Erde mehr vom Erdmittelpunkt entfernt. Es sind 6.384 km. Der Mount Everest weist nur schlappe 6.382 km auf. Die Sauerstoffflaschen benötigenden Möchtegern-Hochalpinisten auf dem höchsten Berg der Welt müde belächelnd, wandere ich leichten Schrittes von dem Parkeingang von 4.300 Meter zu dem zweiten Refugium, einer kleinen Hütte mit Versorgungsmöglichkeiten, auf einer Höhe von 5.045 Meter. Die karge Mondlandschaft, die diffusen Lichtverhältnisse, die farbenfrohe, angepasste Fauna, ein paar Vicuñas, Lieferanten edelster Wolle, und die friedliche Stille verzaubern mich und lassen mich alle Strapazen vergessen. Nur das aufziehende Unwetter beunruhigt mich ein wenig. In der zweiten Hütte angekommen, stärke ich mich erstmal mit einer heißen Schokolade für den weiteren Weg und komme mit sehr freundlichen Deutschen einer Reisegruppe ins Gespräch. Ein Glücksfall, wie sich bald herausstellen sollte. Nachdem ich den so gut wie kein Wasser führenden See auf einer Höhe von 5.100 Metern betrachtet habe, sogar noch ein paar Meter weiter nach oben gestiegen bin, um vielleicht doch noch einen Blick auf die Wolkenverhüllten Eisflächen rund um den Gipfel zu erhalten, zwingt mich einsetzender Graupel zur Umkehr. Mit dem Hochgefühl, meine Schritte auf dem Dach der Welt gemacht zu haben, mache ich mich eilig an den Abstieg. Doch schon nach kurzer Zeit wird der Graupel richtig ungemütlich. Glücklicherweise kommt der Bus der Deutschen Reisegruppe vorbei, der auf seine Passagiere an dem ersten Refugium gewartet hatte. Dankbar nehme ich das Angebot, mich ein Stück mitzunehmen, an und erspare mir so eine Wanderung durch den bald einsetzenden Eisregen, der den Bus auf seinem Weg nach Riobamba zu sehr langsamen Tempo zwingt. Es scheint, als ob eine göttliche Macht nach den bestandenen, teuflischen Prüfungen es sehr gut mit mir meint.
In den sonnigen und angenehmen, klimatischen Gefilden Riobambas wieder angekommen und mich ganz irdisch und sehr glücklich fühlend, packe ich meinen Rucksack und mache mich auf zu einer Stadt, auf die ich mich schon besonders freue: Quito, die Hauptstadt Ecuadors.
Ich werde wieder berichten..
Euer Thilo
(siehe auch Stationen und Distanzen)
2 Gedanken zu “Riobamba, ein Teufelskessel und auf den höchsten Punkt der Erde..”