Die 540 km von Uyuni (siehe auch Im Herzen der Atacama-Wüste, ein Abschied und erste Impressionen..) zu meinem nächsten Reiseziel finden ist fast vollständiger Dunkelheit statt. Selbst der zunehmende Mond und die zahlreichen Sterne verschwinden in dem Schwarz der Nacht. Nur die schwachen Licht-Kegel des Busses weisen den Weg über die sandige und sehr holprige Straße durch das Hochplateau zwischen den Anden-Kordilleren. Da ich, wie fast immer bei Nachtfahrten, keinen Schlaf finde, zähle ich in fast 5 Stunden uns gerade Mal 3 begegnende Fahrzeuge. Es wirkt ein bisschen unheimlich.
Beim ersten Anzeichen der Morgendämmerung nimmt der Verkehr aber allmählich zu und auch die Straßen sind nun asphaltiert. Ich nähere mich also scheinbar der Stadt, die den Titel der „am höchst gelegene Regierungssitz der Welt“ trägt – der Stadt mit dem klang- und bedeutungsvollen Namen (Nuestra Señora de) La Paz.
Der erste Ausflug bei Tageslicht zeigt mir das Ausmaß der rund 750.000 Einwohner zählenden Siedlung. Zahllose, backsteinfarbene und meist dreigeschossige Häuser ergießen sich wie eine gigantische Welle über die Hänge der riesigen, die Stadt um kesselnden Berge. Im Tal stauen sich die Gebäude dann zu hohen Türmen auf. Jeder brauchbare Quadratmeter ist bebaut. Nur dort, wo die Natur aufgrund von Faltenwürfen der Berge eine Bebauung unmöglich macht, sieht man den rötlich-lehmfarben schimmernden Untergrund, der sich den meist unverputzten Häusern angepasst zu haben scheint. Über den Dächern schwebt ein Netz aus Gondeln, den Teleféricos, die als öffentliches Transportmittel genutzt werden und mir somit mühsame Aufstiege zu den Aussichtsplattformen ersparen.
Von diesen staune ich über das Rund der Berge und die vielen Meter Höhenunterschied. Der niedrigste Punkt der Stadt liegt auf einer Höhe von circa 3.200, der höchste auf circa 4.100 Metern. Aber über allem thront in unmittelbarer Nähe der schneebedeckte und alles weit überragende Berg Illimani mit seinen 6.438 m. Ein wahrer Gigant.
Ganz irdisch bewege ich mich langsam, teils schwer atmend, durch die Straßen und Gassen rund um den zentralen Plaza Murillo mit den Regierungsgebäuden und der Basilica Nuestrá Senora la Paz. Von dort ist es nicht weit zum Plaza Major mit der ebenfalls sehr beeindruckenden Iglesia de San Fransisco.
Auch ein Besuch der nahe gelegenen Markthalle lohnt. Über mehrere Etagen findet man in zahlreichen, gleichgroßen Buden ein großes Angebot an frischen Gemüsen und Obst, Blumen, Kitsch und sonstigen Handelswaren. Für kleines Geld kann man frische Säfte und Speisen zur Stärkung zu sich nehmen.
Das Stadtbild ist bunt gemischt. Moderne Architektur fügt sich zwischen traditioneller und kolonialer Bauweise ein. Menschen in bolivianischer Tracht heben sich von westlich Gekleideten ab. Eine Blechlawine aus Autos teilt sich die Straßen mit den Scheins zahllosen Minibussen, klapprigen Taxis und bunt gestalteten Omnibussen. Überall wird Handel mit allerlei Waren und Essen betrieben. Gaukler und Künstler unterhalten die Stehenbleibenden. Eine sehr lebendige Stadt – nicht nur wegen der Höhe habe ich Höchstgefühle.
Ich beschließe, wieder zu kommen. Ich plane, bei meiner Bolivien-Rundreise nicht nur nach Uyuni im Süden zurück zu kehren und dort den weltgrößten Salzsee für mich zu entdecken sondern auch einen erneuten Besuch des Regierungssitzes, um das dort gebotene Kulturangebot wahrnehmen zu können. Außerdem beabsichtige ich, den zweitgrößten Berg der Region, den Huayna Potosi mit seinen 6.088 m zu besteigen. Bis dahin akklimatisiere ich mich in den Höhen und Weiten des Landes noch ein bisschen.
Wieder mit dem Bus, diesmal bei Tag, geht es für insgesamt nur 380 km östlich. Gleich zu Beginn kann ich, in erster Reihe im Bus sitzend, das sich direkt an La Paz anschließende, sich ebenfalls an die Berge anschmiegende El Alto in Augenschein nehmen. Die bis 1985 zu La Paz gehörende Stadt ist heute mit 840.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt des Landes. Auch sie werde ich mir bei nächsten Besuch der Region genauer ansehen.
Weiter geht die Fahrt durch das Altiplano. Die riesige Ebene erstreckt sich von Peru bis weit hinein nach Bolivien und zeichnet sich durch Trockenheit, eintöniger Fauna Farbenfroheit aus. Das bunte Bild unterhält mich genauso wie die Koka-Bäuerin neben mir, die mir die Besonderheiten der Landschaft, die durchkreuzten Ortschaften und auch ein bisschen ihr Leben erklärt. Trotz ihres intensiven Arbeitslebens ist sie ein sehr glücklicher Mensch, der die Schönheit ihres Landes zu schätzen weiß. Aber sie ist voller Sorge wegen des Klimawandels und fürchtet bei kontinuierlichem Fortschreiten dessen den Entzug ihrer Lebensgrundlage.
Nach einem obligatorischen Stopp für das Mittagessen geht die Fahrt weiter mühsam voran. Die ständigen Steigungen der Berge, aber auch das sehr vorsichtige Herunterfahren der Hänge, lassen uns nur sehr langsam vorankommen. So habe ich wenigstens Zeit, verlassene Ortschaften in Augenschein zu nehmen oder Alpaka-Herden beim Weiden zu beobachten. Krönung dieses faszinierenden Schauspiels in Zeitlupe sind die Auftritte der majestätisch anmutenden Berge in allen möglichen Farben mit ihren schneebedeckten oder trockenen Gipfeln. Altiplano, wie es schöner nicht sein könnte.
Nach mehr als 8 Stunden Fahrt komme ich dann in meinem Bestimmungsort an: Chochabamba, die viertgrößte Stadt Boliviens mit 630.000 Einwohnern in einer, nach La Paz, fast schon entspannenden, durchschnittlichen Höhe von circa 2.600 m.
Schon bei meiner ersten Entdeckungstour entdecke ich im Südosten „die Stadt in der Stadt“. Ein Handelszentrum. Einen gewaltig großen, nicht zu überblickenden und unübersichtlichen Marktplatz. Wirklich Alles wird hier angeboten. In den zum Verirren leicht geeigneten Gängen der Hallen, den zahllosen Fluren, auf den Straßen werden Unmengen an Produkten feil geboten. Dabei sind die Warengruppen meist nur in Vierteln zu finden.
Das Essen und Trinken kommt natürlich auch nicht zu kurz und so probiere ich die lokalen Spezialitäten, die für mich von sehr freundlichen und Willkommen heißenden Menschen zubereitet werden.
Schon allein dieser Marktplatz wäre ein Besuch der Stadt wert. Darüber hinaus hat Cochabamba aber noch viele weitere, sehr sehenswerte Orte. Insbesondere der zentrale Platz mit Kolonialbauten ist Anziehungspunkt. Und dann ist da noch die hoch über der Stadt erbaute, nicht zu übersehende Figur des Cristo de la Concordia. Sie ist ihrem Vorbild in Rio de Janeiro (siehe auch Rio de Janeiro – Karneval im Schatten vom Zuckerhut..) sehr ähnlich, überragt das Original aber um einige Meter.
Den Aufstieg bewältige ich jedoch nicht mit der kleinen Seilbahn. Die Warteschlange der Transportwilligen ist sehr lang. Ich nehme also die 1.400 Stufen und 300 Höhenmeter hinauf auf 2.840 m, die ich nach Absolvierung als ein erstes Extrem-Klettern und Test für den Huayna werte. Aber ich werde belohnt: Wie in Brasilien hat man von dem Sockel des Bauwerks einen tollen Rundblick über die gesamte Stadtausweitung.
Ich ruhe mich noch ein Weilchen aus in dieser unerwartet schönen und sehr interessanten Stadt mit gemäßigtem Klima. Und bereite die Weiterreise vor. Es geht für mich in den tropischen Teil Boliviens. Welche Vielfalt in dem Land. Ich werde berichten..
Euer Thilo
3 Gedanken zu “Von La Paz durch das Altiplano nach Cochabamba..”